Was mein Handeln seit 1948 beeinflusste
Politische Diskussionen waren in meinem Elternhaus genauso präsent, wie die Ehrfurcht vor der Natur. Es verging kein Sonntagsspaziergang oder Wochenendausflug mit einem Vogel- und Pflanzenbestimmungsbuch. Für die Singvögel als biologische Pflanzenschützer baute mein Vater mit mir zusammen zahlreiche Nistkästen für den Kleingarten der Großeltern und deren Nachbarn, in welchem ich 10 Jahre lang wohlbehütet aufwuchs.
Eine enge Kinderfreundschaft verband mich mit Matthias Koitzsch, dessen Vater Geschäftsführer des Baugeschäftes „Paul Malters Erben“ war. Der Bauhof, die anschliessende Obstwiese und die Mitfahrten auf den Firmen-LKWs, ein Wehrmachtsopel und ein Vorkriegs-Magirus boten jede Menge Abenteuer.
Auch die Straßenbahn, die auf der Leipziger Straße, Ecke Rankestraße eine Haltestelle hatte erweckte meine Neugier und ich sah den anhaltenden und abfahrenden Bahnen gespannt zu.
Als mein Vater 1947 als ehemals begeisterter Hitlerjunge und U-Bootfahrer aus britischer Kriegsgefangenschaft von Kiel durch das zerbombte Deutschland in seine Heimatstadt Dresden fuhr, wurde ihm der Missbrauch seiner jugendlichen Kriegsbegeisterung durch die Nazis mehr und mehr bewusst. Meine Mutter überlebte den Bombenangriff am 13. Februar 1945 in Dresden nur knapp. Was beide sehr erschütterte, war, dass die NS-Schreibtischtäter weiterhin in Verwaltung und Justiz in der jungen Bundesrepublik ungeschoren tätig waren und keinerlei Reue zeigten. „Nie wieder Krieg” war der Ausgangspunkt für das politische Interesse, das sich auch auf mich übertrug.
Angewidert, weil an die Aufmärsche der Hitlerjugend erinnernd, war er von den Demonstrationszügen der „Freien Deutschen Jugend“. Was ihn, neben der schlechten Versorgungslage, bewog, die DDR 1956 zu verlassen, während Mutter und Sohn nachzogen.
Über die Schweiz landeten wir in Schwenningen am Neckar, eine aufblühende Uhrenindustriestadt. Mein Vater fand als Heizungsmonteur sofort Arbeit und eine Wohnung, Meine Mutter steckte als gelernte Fleischereifachverkäuferin Uhren zusammen und ich ging in die Schule. Dabei wurde mir zum ersten Mal klar, dass am Neckar auch Deutsch gesprochen wurde, aber mit ganz anderem Singsang und Ausdrücken, als in Sachsen. „Grasdackel“ und „net ganz bache“ waren einer der fremartigen
Wortschöpfungen. Aber ansonsten wurde ich von Mitschülern und Nachbarskindern voll respektiert. Im Musikverein „Harmonie“,spielte ich seit 1964 dieTuba, in den 1980er Jahren in der Straßenbahnerkapelle Heidelberg und bei der Polizeimusik Mannheim. Leider musste ich berufsbedingt das Tubaspielen nach gut 25 Jahren aufgeben.
Mit den Pfadfindern erwanderte ich Korsika. Mit der ÖTV-Jugend besuchte ich 1968 Israel und arbeitete in einem Kibuz. Als Juso machte ich 1972 Wahlkampf für Willy Brand. Nach Tätigkeiten in der SPD als Schriftführer und Beisitzer trat ich wegen der Schröderschen Politik aus. Ich setzte mich schon damals gegen den ausufernden Straßenbau, Verschmutzung von Flüssen und Seen mit Phosphaten, verbleites Benzin, geordnete Mülldeponierung und für soziales Wohnen ein. Den alten Genossen dagegen war Umweltschutz suspekt, „Mit der Faust im Sack“ stimmten sie für den Bau breiter Stadtstraßen und dem Abholzen alter Baumbestände. Glücklicherweise ging durch die Krise in der Uhrenindustrie das Geld aus, die Straßen wurden erst später gebaut, die Bäume stehen noch und der Autoverkehr, in Zwischenzeit sicherlich vervierfacht, rollt trotzdem.
Als Jungsozialist lernte ich schon früh, wie auf kaltem Wege unliebsame Parteigenossen durch Ausgrenzung elegant ins Abseits gestellt wurden, ohne dass sich die Hintermänner die Hände schmutzig machen mussten. Trotzdem hatte ich mich aktiv in verschiedenen SPD-Ortsvereinen eingebracht.
Während der Studienzeit in Konstanz galt es die geplante Bodensee-Autobahn durch den Stadtteil „Paradies“ mit überdimensionierter Rheinbrücke wenigstens in eine akzeptable Form mit zwei Spuren zu bringen. In den Semesterferien arbeitete ich im Hochbau und half als Ingenieurstudent bei der Elektrifizierung der Schwarzwaldbahn mit. Meine Herzensangelegenheit war damals wie heute die Erhaltung des technischen Denkmals „Wutachtalbahn“, die ein Besuchermagnet geworden ist.
Nach dem Studium als Bauingenieur (FH) und Ausbildung zum technischen Bundesbahninspektor arbeitete ich in Nahverkehrsbetrieben in Freiburg und Mannheim und im Gleisbau. Bis zum Eintritt in den Ruhestand mit 69 Jahren leitete ich über 25 Jahre lang in einem renommierten Ingenieurbüro Baustellen vom Krötentunnel unter der B 3 über Dorfsanierungen, Brücken und Nahverkehrsgleisen bis hin zur Autobahn im Thüringer Wald.
Zahlreiche private und geführte Studienfahrten mit der Eisenbahn haben mich vom Westkap Europas über den Polarkreis bis Narvik, quer durch die Schweiz nach Venedig und Triest, ja bis nach Wladiwostok, zur Großen Mauer und ins nordkoreanische Pyöngyang geführt, überwiegend im Schlafwagen. Bis jetzt sind dabei gut 400.000 km Bahnfahrt zusammengekommen.
Die u.a. von den Freien Wählern 2009 mitgetragene Initiative „Stoppt das Millionengrab“ brachte mich nach Jahren der politischen Enthaltung wieder zur Kommunalpolitik zurück.
Leider konnte der Straßenbahntunnel nicht verhindert werden und die gesunden Platanen in der Kaiserstraße werden mit Zustimmung der „Grünen“ und „Fridays for Future“ trotz sich anbahnender Klimakatastrophe rücksichtslos abgeholzt. Eine mit 12.229 Euro pro Kopf verschuldete Stadt leistet sich diesen Luxus und das Land bezuschusst das auch noch.
Seit Dezember 2017 habe ich mich als Nachrücker der allzu früh verstorbenen Petra Stutz im Durlacher Ortschaftsrat engagiert. Im der Bürgergemeinschaft Durlach und Aue war ich 9 Jahre Kassenwart. In örtlichen Initiativgruppen wie „Pro Bahn“, dem Historischen Verein Durlach und dessen „AK Stadtbild Durlach“ setze ich mich für ein angenehmes Wohnumfeld ein Mit gelegentlichen Vorträgen zum Schienenverkehr unterstütze ich den Karlsruher „Treffpunkt Schienennahverkehr“ (TSNV), der historische Straßenbahnen vor dem Verschrotten bewahrt. Meine Liebe zu Eisen- und Straßenbahnen habe ich meinem Vater zu verdanken, der mit mir oft am Sonntag den Bahnhof besuchte, während Mutter den Sonntagsbraten zubereitete.
Meine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung:
- Vermessungstechniker und Vermessungssoldat
- Bauingenieur für Verkehrsbau
- Befähigung für den gehobenen bautechnischen Dienst
- bei der Deutschen Bundesbahn: Bauleiter, Abteilungsleiter
Ihr Ullrich Müller