Kombilösung: Eine Vision wurde Wirklichkeit

In der Kommunalpolitik werden Entscheidungen vom Wähler gerne vergessen oder überhaupt nicht wahrgenommen. Dabei geht es vielfach um sachgerechte Verwendung von Steuergeldern und Stadtgestaltung. Nachfolgend ein kurzer Rückblick.

Zu den (geplanten) Kosten

2002 wurde auf Drängen der Verwaltung ein Bürgerentscheid durchgeführt zum Bau des Straßenbahn- und Autotunnels. Grundlage waren die Baukosten von knapp 500 Mio. Euro, Eigenmittelbedarf von 75 Mio, Bauzeit 6 Jahre ohne Beeinträchtigungen und ein kaum ansteigendes Defizit der VBK von damals etwa 20 Mio./Jahr.

Die Verwaltung der Stadt Karlsruhe informierte damals zur Astimmung 2002 mit einer Comic-Figur namens Karla:

Der Straßenbahntunnel zwischen Durlacher und Mühlburger Tor mit Südabzweig am Marktplatz kostet rund 380 Millionen Euro. Für ÖPNV-Maßnahmen beträgt der GVFG-Zuschuss 85 Prozent. 60 Prozent zahlt der Bund, 25 Prozent das Land Baden-Württemberg. Das heißt, die Verkehrsbetriebe haben lediglich 15 Prozent, also etwa 57 Millionen Euro, für die Baukosten des Tunnels zu übernehmen. Im Vergleich zu den hohen Investitionen der VBK für neue Fahrzeuge und den Ausbau des Streckennetzes in jüngster Zeit ist diese Summe, die über mehrere Jahre verteilt wird, durchaus tragbar.

Schon bald nach dem Bürgerentscheid 2002 änderten sich nicht nur die Baukosten nach oben, sondern auch die Höhe der Zuschüsse. Vom Bund gab es nach wie vor 60%, vom Land (CDU/FDP) wurde eine pauschale Deckelung des Zuschusses auf 100,8 Mio in der Finanzierungsvereinbarung vom 23. Dezember 2008 aufgenommen, weil das Projekt eines der „bestkalkuliertesten“ sei, ausgehend  von 430 Mio. der zuschussfähigen Kosten. Obwohl zu dieser Zeit feststand, dass es 588 Mio werden würden. 20% von 430 Mio wären 86 Mio gewesen, das Land sattelte im Bewusstsein von Kostensteigerungen auf 100,8 Mio auf. Die 0,8 Mio waren für das Infocenter gedacht. Statt 57 Mio Eigenanteil war der jetzt auf ca. 80 Mio geklettert, ohne Kriegsstraße. Ausgehend von den bekannten 588 Mio wäre der Eigenanteil zum Zeitpunkt des Vertagsabschlusses bereits bei ca. 140 Mio gewesen. Klammheimlich wurde später die Deckelung von Grün/Schwarz aufgehoben, jetzt gibt es vom Land 20 % auf fast alles. Mittlerweile sollen die Kosten bei 1,5 Mrd liegen, genaues hat die Verwaltung nicht verraten. Auf Anfrage weiß man aber, dass die VBK mit 43 Mio/Jahr Tunnelkosten belastete wird. Insgesamt ist das VBK-Defizit von ca. 25 Mio auf 93 Mio. Euro gestiegen.

Im Dezember 2010 verkündete der damalige VBK-Chef Dr. Casazza, die Kombi reduziere die Kosten, rund drei Mio bringe der Tunnel jährlich für den Betrieb ein. (BNN 05-12-2010)

Die mittlerweile auf 688 Mio angestiegenen Baukosten, Eigenmittel von rund 150 Mio, einem Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1,19, ein äußerst kritisch formulierter Bewilligungsbescheid für Zuwendungen und die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer straßenbahnlosen Kaiserstraße starteten GRÜNE, Linke und Freie Wähler im Sommer 2009 eine Unterschriftenaktion gegen den Straßenbahntunnel, bei der 30.000 Unterschriften, davon 22.000 rechtsgültige, zusammen kamen. Daraufhin wurde ein neues Bürgerbegehren beantragt. Am 24.11.2009 kam es zum Generalschlagabtausch unter den Fraktionsvorsitzenden:

  • Bettina Lisbach (Grüne): Kein Beschluss kann auf Ewigkeit Gültigkeit haben. Die Meinung der Bevölkerung könne sich ändern, auch die Rahmenbedingungen können sich ändern.
  • Gabriele Luczak-Schwarz (CDU): Wir haben eine demokratische Legitimation, wir haben einen eindeutigen Bürgerentscheid von 2002. Wir brauchen keinen neuen Bürgerentscheid.
  • Doris Baitinger (SPD): ... dass wir uns hier nicht zum Instrument machen lassen, um letztendlich das Nichtakzeptieren eines breiten Bürgerentscheides von Ihnen nochmals in Abrede stellen zu lassen.
  • Rita Fromm (FDP): Wir haben ein hohes Demokratieverständnis und eine hohe Achtung davor. Das muss ich Ihnen hoffentlich zum letzten Mal sagen.
  • Jürgen Wenzel (FW): Verweigern Sie einen (neuen) Bürgerentscheid, dann gewinnen Sie zwar die Abstimmung aber [...] mindestens 22.000 Wahlberechtigte verlieren ihr Vertrauen in die Politik.

Soweit zum Demokratieverständnis, der neue Bürgerentscheid wurde haushoch abgelehnt. Auch die Justiz lehnte ab, denn die Kombi bestehe aus zwei untrennbaren Teilen. Die Unterschriftenaktion hätte sich gegen die Kombi gesamthaft richten müssen, nicht nur gegen den Straßenbahntunnel. Die Stammwählerschaft von CDU/SPD/FDP sorgte weiterhin für stabile Sitzverteilung im Gemeinderat.

In einem Bericht der BNN vom 28. November 2009 fasste der ehemalige Geschäftsführer der Verkehrsbetrieb Ludwig die Vorteile des Straßenbahntunnels zusammen, nach dem er 1983  noch behauptete, Karlsruhe braucht keinen Tunnel:

  • Für die Autofahrer, die an den Kreuzungen nicht mehr lange warten müssen, weil diese von weniger Straßenbahnen gekreuzt werden.
  • Für Fußgänger, die den Bahnen nicht mehr ausweichen müssen
  • Für Geschäftsleute, die endlich ihre Flaniermeile bekommen
  • Für die VBK, weil die Bahnen schneller fahren, werden weniger gebraucht.

Nach damaligen Stand sollte das Defizit der VBK bei etwa 20 Mio. bleiben. Heute liegt es bei 93 Mio, allein der Tunnel schlägt mit 43 Mio zu Buche.

Am 17. Dezember 2013 rechnete die Finanzbürgermeisterin Margot Mergen dem Gemeinderat vor: „Wenn man 2004 bei 495 Mio. Kosten eine Hochrechnung gemacht hätte, wäre man bei 806 Mio. gelandet. Wir sind heute bei 868 Mio. Sie merken, die Schere ist ungleich kleiner“. Darüber freute sich die SPD-Fraktionsvorsitzende Doris Baitinger überaus herzlich, wegen des „überraschend kleine Deltas“ von 62 Mio. Der Frage, ob bei 806. Mio Kosten  auch ein Nutzen-Kosten-Faktor von > 1,0 herausgekommen wäre, blieb man geflissentlich schuldig. Vielmehr stellte Frau Baitinger fest, „wir müssen und wollen das bezahlen, denn die Bürgerschaft hat uns damit beauftragt.

Leider lautete der Auftrag 2002 so:

  • Ohne U-Strab keine Straba mit Autotunnel in der Kriegsstraße
  • 400 Mio. Gesamtkosten bei 60 Mio Selbstbehalt
  • Sechs Jahre Bauzeit ohne Einschränkungen
  • Das Defizit der VBK steigt nicht
  • Die Gleise in der Kaiserstraße werden ausgebaut

Ob blauäugig oder berechnend wurde verschwiegen, dass die abgefahrenen Schienen vor dem endgültigen Ausbau erneuert werden müssen, was ab 2008 geschah, das zur Überwachung des Tunnelbetriebes eine extra Mannschaft erforderlich ist, dass etwa 100 Straßenbahnen tunneltauglich hergerichtet werden müssen, dass die Beleuchtung, Belüftung und Reinigung der unterirdischen Haltestellen Energie und Geld verschwendet, dass der der Umbau zur Shopping- und Flaniermeile etwa 30 Mio. extra kostet und weitere 6 bis 8 Jahre Baustellen bedeutet.

Zu den Bauarbeiten an sich

Comic-Figur namens Karla imformierte abermals:

Ist der „Deckel" gebaut, wird die Oberfläche sofort wieder geschlossen. Der Bau erfolgt nach dem Stand der Technik unter Beachtung der einschlägigen Vorschriften. Fußgängerverkehr, Andienung der Geschäfte und Straßenbahnbetrieb sollen gewährleistet bleiben.

Fast wie von Geisterhand sollte der Tunnel gebaut werden. Zwangsläufig wurden die Gleise und Weichenabzweige mindestens eindutzend Mal am Euro, Marktplatz und Kronenplatz verschwenkt. Kosten, die gut an die 100 Mio. gehen und nicht in den 500 Mio. Gesamtkosten einkalkuliert sein können. Dem eigentlichen Tunnelbau vorausgehend, wurde ab 2008 die Gleise der Kaiserstraße vom Europaplatz bis zum Durlacher Tor erneuert. Jetzt sollen diese wieder für die straßenbahnfreie Shoppingmeile ausgebaut werden. Vernichtung von Volksvermögen spielt in dem Falle keine Rolle, obwohl Karlsruhe mit 10.229 Euro pro Kopf verschuldet ist (BNN 10.11.2022) und Sozialleistungen kürzen muss.

Fazit:

Dafür, dass der Alt-OB Fenrich (CDU) für Karlsruhe viel Gutes bewirkt hat, bekam er am 2. Mai 2013 vom Ministerpräsidenten Kretschman (GRÜNE) das Bundesverdienstkreuz überreicht.

Ob nun alle Prognosen eingetreten sind, darüber zieren sich die Damen und Herren Gemeinderäte nachzufragen. Eins weiß man sicher: die Baukosten liegen bei 1,5 Mrd. Euro, die Bauzeit betrug 11 statt 6 Jahre und die Autofahrer müssen an den Kreuzungen tatsächlich nicht länger warten. Dafür müssen die Fahrgäste mindestens 2 Minuten einrechnen, wenn sie von unten nach oben oder umgekehrt wollen, die Sitzgelegenheiten waren lange Zeit spärlich, auch die Informationen und die Fahrtreppen und Aufzüge stehen hin und wieder still.

Von den damaligen Akteuren die pflichtgemäß das Verwaltungshandeln begleitet hatten, erhielten einige Bürgermeisterposten wie Frau Luczak-Schwarz (CDU), Herr Dr. Käuflein (CDU) oder die grüne Kombigegnerin Lisbach. Einige werden wieder zur Kommunalwahl 2024 antreten wie Katrin Schütz, Tilman Pfannkuch und Detlev Hofmann (alle von der CDU), Elke Ernemann und Michael Zeh (beide SPD), Thomas Hock von der FDP und Lüppo Cramer von der KAL.

Und was ist aus den anderen Akteuren geworden?

  • Ob die Herren Wenzel und Kalmbach irgendwelche Vorteile aus ihrem Abstimungsverhalten gezogen haben könnten, weiß man nicht.
  • Die Damen Baitinger und Fromm kandidierten für den Gemeinderat nicht mehr.
  • Neu hinzu gekommen ist Petra Lorenz (FW), die sich in der ZDF-ZOOM-Sendung vom 18-11-2018 („Wenn der Staat baut – Kombilösung“) als „verarscht“ bezeichnet, aber alle Entscheidungen zur Kombi nach den Vorgaben der Verwaltung mit trägt.

Quellen:

  • „Karla“ Infoschrift der Verwaltung zur Abstimmung 2002
  • Zuwendungsbescheid 2008
  • Landtagsdrucksachen
  • Gemeinderatsprotokolle
  • Berichte aus den BNN
  • Eigene Beobachtungen


Alle Fotos: Ullrich Müller
Verfasser: Ullrich Müller 14-05-2024